Erbschaftsteuerliche Regelung des sog. 90%-Tests - Reaktion der Finanzverwaltung auf neue BFH-Rechtsprechung

Nach den Regelungen des deutschen Erbschaftsteuergesetzes (§§ 13a, 13b ErbStG) sollen Unternehmensvermögen gewisse erbschaft- bzw. schenkungsteuerliche Begünstigungen erfahren. Der Gesetzgeber begründet dies insbesondere mit der Intention, den Bestand von Unternehmen und geschaffener Arbeitsplätze nicht durch steuerbedingte Liquiditätsprobleme zu gefährden. Die genannten Verschonungsregelungen sehen dem Grunde nach vor, dass sogenanntes „Produktivvermögen“ steuerlich begünstigt wird, wohingegen nicht produktives Verwaltungsvermögen (§ 13b Abs. 4 ErbStG) dem Grunde nach der Besteuerung zu unterwerfen ist.

Als Eintrittshürde zur Gewährung der steuerlichen Begünstigungen wurde in § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG der sog. 90 % Test eingefügt. Dieser sieht eine Fallbeilregelung vor, welche sämtliche Begünstigungen für Betriebsvermögen verwehrt, wenn das Verwaltungsvermögen mindestens 90 % des gemeinen Werts des begünstigungsfähigen Vermögens beträgt. Als problematisch hat sich in der Vergangenheit die Berechnung des Verwaltungsvermögens für diesen 90%-Test herausgestellt. Aus dem Wortlaut könnte man schließen, dass die in § 13b Abs. 4 Nr. 5 S. 1 und Abs. 6 S. 1 ErbStG normierten Schuldenverrechnungsanordnungen für den 90%-Test nach § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG außer Betracht bleiben. Insoweit können sich insbesondere bei fremdfinanzierten Unternehmen gegebenenfalls ungerechtfertigt nachteilige Konsequenzen ergeben. Diese Problematik war nun Gegenstand der BFH-Rechtsprechung.

BFH-Urteil vom 13.09.2023 – II R 49/21

Der BFH ist einer strengen Auslegung des  § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG  dem Wortlaut nach entgegen getreten. Im Gegensatz zur Vorinstanz legt der BFH die Regelung wie folgt einschränkend aus: „Bei Handelsunternehmen, deren begünstigungsfähiges Vermögen aus Finanzmitteln iSd § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG besteht und deren Hauptzweck einer Tätigkeit iSd § 15 Abs. 1 S. 1 EStG dient, [sind] für den […] 90%-Einstiegstest die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln in Abzug zu bringen“. Eine andere Auslegung benachteilige aufgrund deren Finanzierungsstruktur häufig gerade Handelsunternehmen. Ob zu hohe Finanzmittel (z.B. aufgrund eben erfolgter Finanzierung) in schädlichem Umfang vorlägen oder nicht, wäre somit dem Zufall überlassen. 

Reaktion der Finanzverwaltung (Gleichlautende Ländererlasse v. 19.6.2024)

Mit den GLE vom 19.6.2024 reagierte nun die Finanzverwaltung. Die Finanzverwaltung schließt sich der Auffassung des BFH an und legt die Regelung darüber hinaus künftig wie folgt aus:

  1. Die Norm ist für alle begünstigungsfähigen Vermögensformen iSd § 13b Abs. 1 ErbStG anwendbar.
  2. Die Norm gilt für Erbschafts- und Schenkungsfälle.
  3. Die Anwendung ist nicht auf Handelsunternehmen beschränkt.
  4. Der Anwendungsbereich ist eröffnet, wenn das begünstigungsfähige Vermögen iSd § 13b Abs. 1 ErbStG nach seinem „Hauptzweck einer Tätigkeit iSd §§ 13 Abs. 1, 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG“ dient.

Des Weiteren wird ein angepasstes Schema zur Ermittlung des Verwaltungsvermögens für Zwecke des 90%-Tests in Randnummer 8 des Schreibens dargestellt.

Fazit

Die Entscheidung des BFH und die Reaktion der Finanzverwaltung sind zu begrüßen. Sie schaffen in weiten Teilen Klarheit für die Besteuerungspraxis. Es verbleiben dennoch Unklarheiten bezüglich der „Hauptzweckprüfung“ oder der Definition der „betrieblich veranlassten Schulden“. Es wäre wünschenswert, wenn die Finanzverwaltung auch diesbezüglich bald für Klarheit sorgen würde.

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